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Die Dreigoschenoper
"Das ist Kunst und nicht nett!"
Die Dreigroschenoper im Bandhaus: Backnanger Bürgerbühne feierte fulminante Premiere – Barbara Lackermeiers Inszenierung mit Backnanger Laiendarstellern
Barbara Lackermeiers Inszenierung des 1928 in Berlin uraufgeführten Brecht-Stückes mit Backnanger Laiendarstellern bescherte einen großartigen Theaterabend und stellte, wie Jasmin Meindl es formulierte, alles Bisherige in den Schatten.
Von Carmen Warstat
BACKNANG. „Ich verneige mich vor allen Spielern“, sagte sie nach der auch vom Publikum bejubelten Premiere und sprach damit sicher der gesamten Theaterleitung aus dem Herzen. „Total begeistert“ hat auch die ausgezeichnete Band mit Gerhard Kleesattel am Klavier, Cindy Velz (Klarinette und Saxofon) sowie dem erst 14-jährigen Jonas Heck an den Drums.
Das Coaching für die Gesangsdarbietungen der Schauspieler hatte Catrin Müller übernommen, und es gelang ihr in sehr kurzer Zeit, Unglaubliches aus den Stimmen der Laien herauszuholen. Das Ensemble präsentierte fast alle Songs aus der wohl fast ungekürzt auf die Bühne gebrachten Dreigroschenoper und bewältigte damit ein Mammutprojekt, das sich sehen und hören lassen kann.
Die Bühne könnte schlichter kaum gestaltet sein: Eine schwarze T-förmige Rampe wurde mit Lametta verziert, darüber der in kühlem Blau leuchtende Schriftzug mit dem Titel des Stückes. Dieser wie auch das Lametta werden sich bei jedem Ortswechsel verfärben, die Rampe ist multifunktional: Figuren können darunter verschwinden oder Requisiten verbergen, man kann sie blitzschnell in ein Bett verwandeln, sie spendet indirektes Licht. Dann hängt da noch eine Jacke – unklar, ob sie vergessen wurde oder zum Bühnenbild gehört. Brecht eben.
Nicht nur über das Gesehene, das Was also, sollen wir nachdenken, sondern vor allem über das Wie und das Warum einer Theaterproduktion soll der Zuschauer reflektieren. So bleibt auch der Vorhang zur Schauspielergarderobe vielleicht bewusst halb geöffnet – man kann den Künstlern bei der Arbeit zusehen, denn, wie es Mackie Messer (Benjamin Adlung) angesichts des Songs der Seeräuberjenny, gesungen von Leonie Bernhardt (als Polly), ausdrückt: „Das ist Kunst und nicht nett!“
Trotzdem macht es unheimlichen Spaß zuzuschauen, das spartanische Ambiente ermöglicht die volle Konzentration auf die Menschen, die hier agieren und sich wunderbare Kostüme und Masken angelegt haben. Ganz im Sinne des Autors ist da kein Platz für Eitelkeiten, besonders die Huren und Bettler faszinieren in ihren, ebenfalls aus einfachen Mitteln gestalteten Kostümen, die durch manchmal schon professionelle Körpersprache, gekonntes Schauspiel eben (etwa bei Gaby Miletic in der Rolle der Spelunkenjenny oder Rainer Lachenmaier als Sägerobert) mit Leben gefüllt werden.
Besonders wandlungsfähig und in jedem Kostüm authentisch wirkend kam Sylvia Kappel in mehreren Rollen herüber und ließ Raum für Humor. Auch Sylvia Bollinger als Frau Peachum brachte das Publikum mehrfach zum Lachen, und Ralf Kleinpeter in der Rolle ihres Mannes Jonathan Jeremiah Peachum gelang es in pointiert vorgetragenen Songs direkt zu witzeln.
Überhaupt kann die musikalische Leistung des Teams gar nicht genügend gewürdigt werden. Herausragend: Leonie Bernhardt als Polly Peachum und Benjamin Adlung (Mackie Messer) sowie der „Ansager“, Nils Fahrbach. Eine Reihe von Klassikern der Theatergeschichte kam zu Gehör, wohlbekannte Brecht-Bonmots ließen aufhorchen – das Stück um Selbstsucht und (Schein-)Moral hat ein Happy End, das keines ist, denn der Ganove Mackie Messer wird begnadigt, weil er Geld hat und man ihm „nichts beweisen kann.“ Die Aktualität schreit zum Himmel, zugleich ist da die alte Überlegung, ob der Song „Über die Frage: Wovon lebt der Mensch?“ (mit der Sentenz „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“) von manch einem nicht als Rechtfertigung für zynisches Verhalten interpretiert wird und somit die Intentionen Brechts konterkariert. Erfrischend unumdeutbar und von aktueller Brisanz seine Frage danach, was der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer solchen, welches Verbrechen also das größere sei.
Dem Ensemble der Backnanger Bürgerbühne gelang es hervorragend, dem Publikum Bertolt Brecht als einen scharfen Kritiker kapitalistischer Verhältnisse anzubieten. Dazu gehörten neben den bereits Genannten: Friedrich Kirchhof (als Tiger Brown schön fies grinsend), Daniela Eichkorn (als Lucy im Eifersuchtsduett mit Polly glänzend, wenn auch eine Idee zu ambitioniert, zu ehrgeizig, zu laut, dennoch beeindruckend in der explosiven Darstellung eines Temperamentsausbruchs), Philipp Hohner-lein, Hannes Gärting, Tosca Lang (als Trauerweidenwalter, Hakenfingerjakob und Münzmatthias überzeugend die Ärmsten der Armen darstellend), Mieke Müller-Nielsen, Annedore Bauer-Lachenmaier und Elisabeth Bott (als genuin kostümierte Huren) und Falk Böckheler als unverzichtbarer Regieassistent.
Ganz besonders erweichte das Schauspielerteam sein Publikum im leiser werdendem Schlusschor: „Denn die einen sind im Dunkeln, und die andern sind im Licht, und man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ Rasender Applaus und eine wohlverdiente Premierenfeier folgten.
Quelle: Backnanger Kreiszeitung Stadt & Kreis, 30.01.2017